Leseprobe aus: Karl Kern: „CAVON. Leben und Werk des Bernhard Nowak“. 2017
Berlin ab 1933
Gequälte Leinwand - Seelische Verwesung - Krankhafte Phantasten – Geisteskranke Nichtskönner …. Seht Euch das an! Urteilt selbst! Besuchet die Ausstellung „Entartete Kunst“
(Handzettel, verteilt in München anlässlich der Ausstellung „Entartete Kunst“, 1937)
In der Oranienburger Straße steigerte sich im Laufe des Abends des 10. Mai 1933 die Hektik. Lärm drang aufdringlich hoch bis in mein Zimmer hinein. Lastwagen fuhren vor. Menschen grölten. Ich blickte aus meinem Fenster und erschrak beim Anblick eines schier endlos erscheinenden Fackelzugs, der sich von der Museumsinsel her näherte. Vor dem Studentenhaus parkten Lastwagen, auf deren Ladefläche sich Türme von Büchern stapelten. Ohne nachzudenken, stürzte ich die alten Treppen hinunter, verließ vier Stockwerke tiefer das Haus und mischte mich unter die brodelnde Menge, die vor dem Studentenhaus Platz bezogen hatte.
Schon von ferne vernahm ich eine lautstarke Hetzrede, die, wie ich nun bemerkte, vom brandenburgischen Führer des Studentenbundes gehalten wurde, in der er alle möglichen pauschalen Parolen unterbrachte, die man sich nur denken konnte. Um Punkt 22 Uhr setzte sich der Menschenzug zu den Klängen einer SA-Blaskapelle in Richtung Königsplatz in Bewegung.
Es regnete und mich fröstelte es, auch von innen heraus. Aufgespießt auf einem langen Stock, wurde der Kopf einer zerschlagenen Büste vorneweg getragen. Es handelte sich um das Konterfei des Sexualforschers Magnus Hirschfeld, der von allen im Tross besonders gehasst wurde. Als Vorreiter der Gleichberechtigung des so genannten dritten Geschlechts, also Homosexueller, und als Jude konnte er gut als Stellvertreter für die große Gruppe unliebsamer Personen herhalten. Ich folgte dem Geschehen möglichst unauffällig, mittlerweile völlig
durchnässt, und schlängelte mich durch die Reihen der Schaulustigen, die dem gespenstischen Fackelzug begeistert zujubelten. Zu meinem Entsetzen musste ich mit ansehen, wie der endlose Aufmarsch aus NS-Studenten, Korporationsstudenten in „Wichs“, darunter Professoren in Talaren, aus Verbänden der SS und der Hitlerjugend, ein allzu langer Zug, der dazu noch von berittener Polizei eskortiert wurde, den langsam dahinrollenden Lastwagen folgte. Es ging gemächlich durch das Brandenburger Tor, weiter über den Linden-Boulevard bis hin zum Opernplatz. SA- und SS-Kapellen spielten, nicht zu überhören, flotte vaterländische Weisen und schnittige Marschlieder. Den gesamten Opernplatz erhellten die Scheinwerfer der Wochenschau und setzen damit die nächtliche Szenerie in gleißendes Licht, was der ohnehin schon unheimlichen Atmosphäre etwas Irreales verlieh. In der Mitte des Platzes befand sich eine Art Scheiterhaufen, der wohl schon während des Tages vorbereitet worden war. Eine schwer überschaubare Menschenschar stand außen herum und wartete. In diesem Moment wunderte ich mich über mich selbst. Wie konnte ich mich so passiv von der Masse mittragen lassen, ohne mich dagegen zu wehren? Ein unbeschreibliches und nicht zu fassendes Gefühl zwischen Wut auf mich selber, Trauer, Schock und Ohnmacht, aber erschreckenderweise auch Neugierde überkam mich. Ich wusste intuitiv, dass ich hier Zuschauer eines historischen Ereignisses wurde, dessen Folgen zwar lediglich ahnbar, aber auf eine unübersehbare Weise negativ waren und das bereits jetzt derartig monströse Dimensionen annahm, dass es von einem Einzelnen nicht mehr zu verhindern war. Ein Gefühl der Ohnmacht überkam mich angesichts der sich mir unvermittelt aufdrängenden Frage, wie man sich nur richtig verhalten sollte.
Der Scheiterhaufen konnte wegen des strömenden Regens zunächst nicht entzündet werden und eine fast kindische Freude überfiel mich, die mich auch ein Stück weit aus meiner Verantwortung erlöste. Aber fatalerweise wusste man Rat und schnell half die Feuerwehr mit Benzinkanistern nach.
Die nicht allzu lange Rede des Studentenführers Gutjahr, den Namen schnappte ich von den neben mir Stehenden auf, endete mit den Sätzen: „Wir haben unser Handeln gegen den undeutschen Geist gewendet. Ich übergebe alles Undeutsche den Flammen.“
Neun ausgewählte Vertreter der Studentenschaft warfen zu markanten Sprüchen die ersten Bücher ins Feuer.
„Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann … und Erich Kästner.“
Weiter konnte ich hören:
„Gegen literarischen Verrat an Soldaten des Weltkriegs! Für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Erich Maria Remarque.“
Mit einem Mal überkam mich heftige Übelkeit und ich fürchtete, mich übergeben zu müssen.
In Gedanken ging ich alle Bücher durch, die ich gelesen hatte, die in Bibliotheken zu finden waren, die bei meinen Freunden standen. In mein Ohr gelangten parallel dazu die Namen von Albert Einstein, Lion Feuchtwanger, eine lange Liste großartiger Menschen, die ich bewunderte und die mir Vorbild waren. In mir drehte sich alles. Ich war froh, dass ich mich an eine Mauer lehnen konnte, die mir zumindest das Gefühl von etwas Sicherheit und Halt vermittelte, was es aber in Wirklichkeit hier gar nicht geben konnte. … … Otto Dix … … George Grosz … … … weitere Namen fielen, mit Verachtung geradezu ausgespien.
Meine Gedanken verließen das Geschehen um mich herum. Ich musste an Samuel denken. An unsere ehemals hochfliegenden Pläne, die doch so sehr denen der Großartigen ähnelten, deren Werk gerade in Flammen zerstoben. Samuel war nach Berlin zurückgekehrt, als man Otto Dix die Professur in Dresden entzogen hatte, das hatte er mir brieflich kurz mitgeteilt. Genaueres wusste ich aber noch nicht. Ob es ihm gut ging? Ob er etwa auch hier war? Wohl kaum. Was würde er zu dem Schauspiel sagen? Ihm würde es genauso nahe gehen wie mir, da war ich mir sicher. Erneut überkam mich ein Gefühl wütender Ohnmacht, das sich mit Übelkeit und Schwindel mischte.
Erst vor wenigen Tagen war ich aus dem Krankenhaus entlassen worden, wo ich einige Zeit vorher behandelt werden musste. Die Schwäche in mir spürte ich an diesem schrecklichen Tag zusätzlich zu den sowieso schon Kräfte raubenden Ereignissen. Dazu nagten die Demütigungen, denen ich in Salzburg ausgesetzt war, noch immer an mir. Meine Freunde, besonders Luise, fehlten mir mehr, als ich mir eingestehen wollte. Ich war allein, völlig allein.
Berlin, die Stadt mit über vier Millionen Menschen, in der ich kaum einen kannte, erzeugte bei mir das Gefühl einer irrationalen Einsamkeit, die ich nicht einmal in Worte fassen konnte.
Durch die lange Abwesenheit aus Deutschland hatte ich zudem bei den Behörden Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Und das Schlimmste war die Arbeitslosigkeit. Unter der litt ich ganz besonders. Die Empfehlungen, durch die ich mir eine feste Anstellung als Pressezeichner beim 12 Uhr Blatt erhofft hatte, waren im Sande verlaufen. In Anbetracht des Wettstreits zwischen den beiden Berliner Mittagsblättern, in dem das 12 Uhr Blatt gegenüber der B.Z. am Mittag durch seine reißerische, sensationsheischende Aufmachung das Oberwasser behielt, hatte ich mir nach meiner Übersiedelung nach Berlin richtig gute Chancen auf eine Anstellung ausgerechnet. Ich war seit längerer Zeit wieder einmal hoffnungsvoll. Aber nach dem Januar `33 verloren beide Blätter völlig an Bedeutung und damit ihr Format, womit für mich eine wichtige Chance dahin war. Als Folge all dieser Steine, die mir den Weg versperrten, flüchtete sich mein Körper in den Zustand der Krankheit. Schwere Magenblutungen zwangen mich monatelang in das Virchow-Krankenhaus und ich fühlte mich nach wie vor noch immer schwach in jeder Beziehung.
Und nun, gerade halbwegs genesen, stand ich wie auf tönernen Füßen da und musste mit zusehen, wie unter dem Gejohle der Studenten und des Publikums die übrigen Bücher bündelweise von den Lastwagen gehoben, von einer willigen Menschenkette weitergereicht und mit verächtlichem Gelächter ins Feuer geworfen wurden. Ich weiß nicht, wie lange ich schon wie in Trance an der Mauer gelehnt hatte, als sich ein stolz daher schreitender Mann mit
Gefolge den Weg durch die Menge bahnte. Es war Propagandaminister Joseph Goebbels, der eine Rede an das Volk hielt. Neugier brachte mich dazu, ihm zuzuhören, die jedoch rasch in Abscheu umschlug: „Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist zu Ende gegangen und die deutsche Revolution hat dem deutschen Wesen wieder die Gasse frei gemacht. … Sie ist deshalb im besten Sinne des Wortes der Vollzug des Volkes Willen …“
Am Ende der aufreißerischen Worte blieb von den Büchern nur ein rauchender Aschehaufen übrig, auf dem man noch einige Papierreste ausmachen konnte, als sträubten sie sich gegen das, was mit ihnen geschah. Mit dem Absingen des Horst-Wessel-Liedes endete das Furcht einflößende Geschehen.
Benommen schwankte ich nach Hause und wollte das Erlebte nicht glauben. Erst am Vortage hatte ich mich an Reisenbichler wenden müssen, um ihn um ein paar Bescheinigungen zu bitten, die ich hier in Deutschland bei den Behörden dringend brauchte. Reisenbichler hätte bei der Aktion sicherlich begeistert mitgemacht. Vielleicht ist er ja sogar dabei gewesen, wer weiß? In welcher Welt war ich hier gestrandet?
Berlin ab 1933
Gequälte Leinwand - Seelische Verwesung - Krankhafte Phantasten – Geisteskranke Nichtskönner …. Seht Euch das an! Urteilt selbst! Besuchet die Ausstellung „Entartete Kunst“
(Handzettel, verteilt in München anlässlich der Ausstellung „Entartete Kunst“, 1937)
In der Oranienburger Straße steigerte sich im Laufe des Abends des 10. Mai 1933 die Hektik. Lärm drang aufdringlich hoch bis in mein Zimmer hinein. Lastwagen fuhren vor. Menschen grölten. Ich blickte aus meinem Fenster und erschrak beim Anblick eines schier endlos erscheinenden Fackelzugs, der sich von der Museumsinsel her näherte. Vor dem Studentenhaus parkten Lastwagen, auf deren Ladefläche sich Türme von Büchern stapelten. Ohne nachzudenken, stürzte ich die alten Treppen hinunter, verließ vier Stockwerke tiefer das Haus und mischte mich unter die brodelnde Menge, die vor dem Studentenhaus Platz bezogen hatte.
Schon von ferne vernahm ich eine lautstarke Hetzrede, die, wie ich nun bemerkte, vom brandenburgischen Führer des Studentenbundes gehalten wurde, in der er alle möglichen pauschalen Parolen unterbrachte, die man sich nur denken konnte. Um Punkt 22 Uhr setzte sich der Menschenzug zu den Klängen einer SA-Blaskapelle in Richtung Königsplatz in Bewegung.
Es regnete und mich fröstelte es, auch von innen heraus. Aufgespießt auf einem langen Stock, wurde der Kopf einer zerschlagenen Büste vorneweg getragen. Es handelte sich um das Konterfei des Sexualforschers Magnus Hirschfeld, der von allen im Tross besonders gehasst wurde. Als Vorreiter der Gleichberechtigung des so genannten dritten Geschlechts, also Homosexueller, und als Jude konnte er gut als Stellvertreter für die große Gruppe unliebsamer Personen herhalten. Ich folgte dem Geschehen möglichst unauffällig, mittlerweile völlig
durchnässt, und schlängelte mich durch die Reihen der Schaulustigen, die dem gespenstischen Fackelzug begeistert zujubelten. Zu meinem Entsetzen musste ich mit ansehen, wie der endlose Aufmarsch aus NS-Studenten, Korporationsstudenten in „Wichs“, darunter Professoren in Talaren, aus Verbänden der SS und der Hitlerjugend, ein allzu langer Zug, der dazu noch von berittener Polizei eskortiert wurde, den langsam dahinrollenden Lastwagen folgte. Es ging gemächlich durch das Brandenburger Tor, weiter über den Linden-Boulevard bis hin zum Opernplatz. SA- und SS-Kapellen spielten, nicht zu überhören, flotte vaterländische Weisen und schnittige Marschlieder. Den gesamten Opernplatz erhellten die Scheinwerfer der Wochenschau und setzen damit die nächtliche Szenerie in gleißendes Licht, was der ohnehin schon unheimlichen Atmosphäre etwas Irreales verlieh. In der Mitte des Platzes befand sich eine Art Scheiterhaufen, der wohl schon während des Tages vorbereitet worden war. Eine schwer überschaubare Menschenschar stand außen herum und wartete. In diesem Moment wunderte ich mich über mich selbst. Wie konnte ich mich so passiv von der Masse mittragen lassen, ohne mich dagegen zu wehren? Ein unbeschreibliches und nicht zu fassendes Gefühl zwischen Wut auf mich selber, Trauer, Schock und Ohnmacht, aber erschreckenderweise auch Neugierde überkam mich. Ich wusste intuitiv, dass ich hier Zuschauer eines historischen Ereignisses wurde, dessen Folgen zwar lediglich ahnbar, aber auf eine unübersehbare Weise negativ waren und das bereits jetzt derartig monströse Dimensionen annahm, dass es von einem Einzelnen nicht mehr zu verhindern war. Ein Gefühl der Ohnmacht überkam mich angesichts der sich mir unvermittelt aufdrängenden Frage, wie man sich nur richtig verhalten sollte.
Der Scheiterhaufen konnte wegen des strömenden Regens zunächst nicht entzündet werden und eine fast kindische Freude überfiel mich, die mich auch ein Stück weit aus meiner Verantwortung erlöste. Aber fatalerweise wusste man Rat und schnell half die Feuerwehr mit Benzinkanistern nach.
Die nicht allzu lange Rede des Studentenführers Gutjahr, den Namen schnappte ich von den neben mir Stehenden auf, endete mit den Sätzen: „Wir haben unser Handeln gegen den undeutschen Geist gewendet. Ich übergebe alles Undeutsche den Flammen.“
Neun ausgewählte Vertreter der Studentenschaft warfen zu markanten Sprüchen die ersten Bücher ins Feuer.
„Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann … und Erich Kästner.“
Weiter konnte ich hören:
„Gegen literarischen Verrat an Soldaten des Weltkriegs! Für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Erich Maria Remarque.“
Mit einem Mal überkam mich heftige Übelkeit und ich fürchtete, mich übergeben zu müssen.
In Gedanken ging ich alle Bücher durch, die ich gelesen hatte, die in Bibliotheken zu finden waren, die bei meinen Freunden standen. In mein Ohr gelangten parallel dazu die Namen von Albert Einstein, Lion Feuchtwanger, eine lange Liste großartiger Menschen, die ich bewunderte und die mir Vorbild waren. In mir drehte sich alles. Ich war froh, dass ich mich an eine Mauer lehnen konnte, die mir zumindest das Gefühl von etwas Sicherheit und Halt vermittelte, was es aber in Wirklichkeit hier gar nicht geben konnte. … … Otto Dix … … George Grosz … … … weitere Namen fielen, mit Verachtung geradezu ausgespien.
Meine Gedanken verließen das Geschehen um mich herum. Ich musste an Samuel denken. An unsere ehemals hochfliegenden Pläne, die doch so sehr denen der Großartigen ähnelten, deren Werk gerade in Flammen zerstoben. Samuel war nach Berlin zurückgekehrt, als man Otto Dix die Professur in Dresden entzogen hatte, das hatte er mir brieflich kurz mitgeteilt. Genaueres wusste ich aber noch nicht. Ob es ihm gut ging? Ob er etwa auch hier war? Wohl kaum. Was würde er zu dem Schauspiel sagen? Ihm würde es genauso nahe gehen wie mir, da war ich mir sicher. Erneut überkam mich ein Gefühl wütender Ohnmacht, das sich mit Übelkeit und Schwindel mischte.
Erst vor wenigen Tagen war ich aus dem Krankenhaus entlassen worden, wo ich einige Zeit vorher behandelt werden musste. Die Schwäche in mir spürte ich an diesem schrecklichen Tag zusätzlich zu den sowieso schon Kräfte raubenden Ereignissen. Dazu nagten die Demütigungen, denen ich in Salzburg ausgesetzt war, noch immer an mir. Meine Freunde, besonders Luise, fehlten mir mehr, als ich mir eingestehen wollte. Ich war allein, völlig allein.
Berlin, die Stadt mit über vier Millionen Menschen, in der ich kaum einen kannte, erzeugte bei mir das Gefühl einer irrationalen Einsamkeit, die ich nicht einmal in Worte fassen konnte.
Durch die lange Abwesenheit aus Deutschland hatte ich zudem bei den Behörden Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Und das Schlimmste war die Arbeitslosigkeit. Unter der litt ich ganz besonders. Die Empfehlungen, durch die ich mir eine feste Anstellung als Pressezeichner beim 12 Uhr Blatt erhofft hatte, waren im Sande verlaufen. In Anbetracht des Wettstreits zwischen den beiden Berliner Mittagsblättern, in dem das 12 Uhr Blatt gegenüber der B.Z. am Mittag durch seine reißerische, sensationsheischende Aufmachung das Oberwasser behielt, hatte ich mir nach meiner Übersiedelung nach Berlin richtig gute Chancen auf eine Anstellung ausgerechnet. Ich war seit längerer Zeit wieder einmal hoffnungsvoll. Aber nach dem Januar `33 verloren beide Blätter völlig an Bedeutung und damit ihr Format, womit für mich eine wichtige Chance dahin war. Als Folge all dieser Steine, die mir den Weg versperrten, flüchtete sich mein Körper in den Zustand der Krankheit. Schwere Magenblutungen zwangen mich monatelang in das Virchow-Krankenhaus und ich fühlte mich nach wie vor noch immer schwach in jeder Beziehung.
Und nun, gerade halbwegs genesen, stand ich wie auf tönernen Füßen da und musste mit zusehen, wie unter dem Gejohle der Studenten und des Publikums die übrigen Bücher bündelweise von den Lastwagen gehoben, von einer willigen Menschenkette weitergereicht und mit verächtlichem Gelächter ins Feuer geworfen wurden. Ich weiß nicht, wie lange ich schon wie in Trance an der Mauer gelehnt hatte, als sich ein stolz daher schreitender Mann mit
Gefolge den Weg durch die Menge bahnte. Es war Propagandaminister Joseph Goebbels, der eine Rede an das Volk hielt. Neugier brachte mich dazu, ihm zuzuhören, die jedoch rasch in Abscheu umschlug: „Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist zu Ende gegangen und die deutsche Revolution hat dem deutschen Wesen wieder die Gasse frei gemacht. … Sie ist deshalb im besten Sinne des Wortes der Vollzug des Volkes Willen …“
Am Ende der aufreißerischen Worte blieb von den Büchern nur ein rauchender Aschehaufen übrig, auf dem man noch einige Papierreste ausmachen konnte, als sträubten sie sich gegen das, was mit ihnen geschah. Mit dem Absingen des Horst-Wessel-Liedes endete das Furcht einflößende Geschehen.
Benommen schwankte ich nach Hause und wollte das Erlebte nicht glauben. Erst am Vortage hatte ich mich an Reisenbichler wenden müssen, um ihn um ein paar Bescheinigungen zu bitten, die ich hier in Deutschland bei den Behörden dringend brauchte. Reisenbichler hätte bei der Aktion sicherlich begeistert mitgemacht. Vielleicht ist er ja sogar dabei gewesen, wer weiß? In welcher Welt war ich hier gestrandet?